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entnommen der gedruckten Ausgabe der Hönne-Zeitung –

Balve. Vor vielen Jahren herrschte in der beschaulichen sauerländischen Kleinstadt Balve vor Weihnachten ungewöhnliche Aufregung: Das Christkind, das üblicherweise die Geschenke verteilte, war auf der Bauernautobahn in einen Unfall verwickelt worden und daher nicht in der Lage, seine himmlische Aufgabe zu erfüllen. In der Not entschieden sich die Stadtoberen dazu, in der Nachbarstadt um Hilfe zu bitten. Dort brachte seit Generationen St. Nikolaus in seiner Rolle als Weihnachtsmann die Geschenke. Vielleicht könnte der einspringen. Adressen wurden ausgetauscht, telefoniert und nach viel Überredung willigte er skeptisch ein.
Seine Skepsis war berechtigt: Die Balver, stolz auf ihre Traditionen, lehnten den Weihnachtsmann ab. Sie waren der festen Überzeugung, dass nur das Christkind die Geschenke an Weihnachten bringen könne. So stand er da, der arme Thor in den engen Gassen der Stadt in der Nähe des Rathauses, mit seinem prall gefüllten Geschenkesack, der von den Balvern hartnäckig zurückgewiesen wurde. „Dann gibt es in diesem Jahr eben keine Geschenke.“, dachte er sich und wollte grad zum Rathaus gehen, um seinen frisch angetretenen Job zu kündigen.
Doch plötzlich stellte er fest, dass er nicht allein war auf den verschneiten Straßen. Ein kleines Mädchen namens Lena, das die Situation beobachtet hatte, trat auf ihn zu und fragte mit ungläubi­gen Augen: „War
um nehmen die Leute deine Geschenke nicht an, lieber Weihnachtsmann?“
Der Weihnachtsmann lächelte traurig und erklärte: „Die Menschen hier halten an ihren Traditionen fest und akzeptieren Veränderungen nur schwer. Sie glauben fest daran, dass nur das Christkind die Geschenke an Weihnachten bringen sollte.“
Lena überlegte einen Moment und sagte dann entschlossen: „Aber Geschenke sind doch Geschenke, egal wer sie bringt! Wenn das Christkind krank ist, muss man eben mal ‚ne Ausnahme machen.“

Der Weihnachtsmann lächelte wieder, diesmal ­dankbar für ­Lenas ­klugen ­Worte. Gemeinsam überlegten sie, wie sie den Balvern eine besondere Freude machen könnten. Sie organisierten ein kleines Fest auf dem Drostenplatz, luden die Bewohner ein und erklärten, dass der Spaß am gemeinsamen Schenken wichtiger sei als starre Traditionen. Wenn das Christkind nun mal nicht kann, kann es eben nicht. Und wenn sie vom Weihnachtsmann nichts wollten, dann könnten die Gäste sich einfach gegenseitig beschenken. Jeder sollte also ein kleines Geschenk mitbringen,  was er dann einem der anderen Gäste überreichen könne. Statt Geschenken verteilten Lena und der Weihnachtsmann also Einladungen in der ganzen Stadt.
Nach anfänglichem Zögern kamen die Balver dann auch neugierig zum Drostenplatz. Als sie auf den Platz kamen schmolzen sie dahin. Der Weihnachtsmann hatte sich extra um den traditionsbewussten Balvern eine Freude zu machen in seine Bischofsrobe mit Mitra gekleidet, um sie gemeinsam mit der kleinen Lena willkommen zu heißen. Im Schatten der bunt geschmückten Weihnachtshütten wuchs die Erkenntnis, dass es nicht immer nur eine richtige Art gibt, Weihnachten zu feiern.
Am Ende des Abends sah man überall fröhliche Gesichter. Die Leute beschenkten sich gegenseitig und kamen so miteinander ins Gespräch. Der Weihnachtsmann, oder jetzt St. Nikolaus, hatte natürlich auch etwas mitgebracht. Er verteilte Stutenkerle an die strahlenden Kinder.
Viele Balver dankten dem Nikolaus und der kleinen Lena herzlich. Sie hatten gelernt, dass das Fest der Liebe nicht von starren Regeln abhängig ist, sondern von der Bereitschaft auch mal Fünfe gerade sein zu lassen, wenn mal grad nicht alles nach Plan läuft. Denken Sie daran, wenn mal wieder der Entenbraten anbrennt und es stattdessen Nudeln gibt.
St. Nikolaus hatte jedenfalls so viel Spaß an dem Fest, dass er bei einem Genesungsbesuch beim Christkind den Entschluss fasste, dieses nun jedes Jahr durchzuführen. Allerdings nicht an Weihnachten. Da konnten sich die weiterhin traditionsbewussten Balver im folgenden Jahr freuen, dass nun das Christkind wieder gesund war und die Gaben brachte. Der Nikolaus veranstaltete sein Fest fortan am zweiten Wochenende im Advent und lud zu diesem „Adventszauber am Drostenhaus“ alle Balver ein und beschenkte sie mit Stutenkerlen, natürlich im prächtigen Bischofsgewand. Selbstverständlich durften auch die kleinen Geschenke der Gäste untereinander nicht fehlen.
Und so endete die Weihnachtsgeschichte in Balve. Und wem sie gefallen hat, der bringt am zweiten Adventswochenende ein kleines Geschenk mit zum „Adventszauber am Drostenplatz“ und gibt es einfach einem der anderen Gäste, um daran zu erinnern, dass zusammen zu sein und sich eine Freude zu machen manchmal wichtiger ist, als immer an Altem festzuhalten, nur weil man es schon immer so gemacht hat.

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