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entnommen der gedruckten Ausgabe der Hönne-Zeitung –

Balve. Schummerig war es. Eng. Kalt. Aber in den letzten Tagen hatte sich ein Mantel von Vorfreude wie weihnachtlicher Glanz über seinen barocken Körper gelegt. Sein Herz wurde warm, obwohl das Licht der Neonröhre das einfache Zuhause ab und an in eher ungemütlich kalte Farbe getaucht hatte. Ach wie sehnte er sich nach flackerndem Kerzenschein, Plätzchenduft und strahlenden Kinderaugen.
Der dicke Rauschgoldengel schüttelte seine Locken. „Hatschi!“ Seine Haarpracht könnte eine Spülung vertragen. Immer dieser Kellerstaub, der sich über das ganze Jahr in seinem goldenen Haar verfing. Er horchte in die kalte Stille des untersten Geschosses. „Seid doch mal still, ich glaube da kommt jemand!“
Seine Freunde und Kollegen hielten den Atem an. Tatsächlich! Endlich war es wieder so weit. Zwei Hände mit glänzend lackierten Nägeln griffen in den großen Karton. Alle, aber auch wirklich alle zitterten vor Aufregung. Die kleinen silbernen Kugeln, die großen roten Anhänger, die selbstgemachten Kekse aus Salzteig, die Strohsterne, die Weihnachtsfiguren, alle reckten sich und warfen sich direkt vor diese Hände, um dabei sein zu dürfen. Es war schließlich ihr Fest.
Zum Schluss blieb Ernüchterung. Tieftraurig zogen sie sich wieder zurück, als nur der selbstgebaute Advents-Kerzenständer die Kiste verließ, hocherhobenen Hauptes.
Ein paar Tage später hörte der kleine Elch mit den gestrickten Hosen wieder Schritte auf der Treppe zum Keller. „Achtung. Jetzt sind wir dran. Kommt! Bestimmt ist es so weit.“
Aber die Schritte entfernten sich wieder. „Haben die uns dieses Jahr vergessen?“, fragte der dienstälteste Pinienzapfen. Tränen tropften von einer Zapfenschuppe zur nächsten.
Der einst liebevoll aus weißem Garn gewickelte Schneemann zuckte mit den Schultern. Plötzlich nieste es wieder aus der hinteren Ecke. „Hatschi!“ „Gesundheit, Engelchen!“ wünschte der Mann im roten Mantel vorne rechts. „Danke …“, erwiderte der Rauschgoldengel höflich. „Das hilft aber eh nichts. Ich habe eine Hausstaub­allergie. Und solange ich hier in dieser Kiste hocke, werde ich niesen und niesen und niesen …“ „Der Staub fliegt ja auch nur so. Man könnte wenigstens mal durchputzen! Und wie lange sollen wir denn noch in dieser Enge warten“, empörte sich der Schneemann.
„Ja! Genau! Ist es nicht langsam so weit?“ Ein Bündel roter Sterne reckte die Glieder und gähnte herzhaft. „Unser Kleid ist schon ganz verfilzt, wir müssen an die Luft.“
Die 54-teilige Lichterkette zitterte unsicher. „Ich hoffe, ich funktioniere überhaupt noch. Meist sind nach der langen Liegezeit doch einige meiner Birnchen kaputt. Bestimmt wandere ich sofort in den Müll. Oder eine von diesen neumodischen, blinkenden Halogenketten ersetzt mich.“
„Papperlapapp“, kommentierte der Rauschgoldengel. „Versinkt ihr jetzt alle in einer Weihnachtsdepression? Natürlich werden wir wieder zum Fest geladen. Wie jedes Jahr! Womit sollen sie denn sonst ihren Baum schmücken?“
Aufatmendes und zustimmendes Murmeln erfüllte den Pappkarton. „Gut“, klingelten die kleinen silbernen Glöckchen, „dann werden wir uns eben noch etwas in Geduld wiegen.“
Der Mann im roten Mantel bahnte sich einen Weg durch Kugeln und Sterne. Beinahe wäre er auf einem Rest Lametta ausgerutscht. „Früher war doch mehr Lametta“, seufzte er. „Ich, ich glaube, ich muss euch etwas erzählen. Ich habe gestern, am späten Abend noch ein Gespräch mit angehört, von den Herrschaften des Hauses. Ich traue mich fast nicht, euch zu sagen, worüber sie sich hier nebenan im Keller unterhalten haben, beim Wäscheaufhängen …“
Der Strohstern raschelte unruhig. „Jetzt sag schon, wir haben ein Recht, es zu
wissen, oder nicht?“
„Also gut, sie haben darüber gesprochen, dass sie dieses Jahr … nein, ich kann es nicht sagen.“
„Jetzt komm schon, Weihnachtsmann!“
„Ja, also, sie haben gesagt, dass Betty und Felix schon so alt wären, immerhin 15 und 17, da bräuchten sie gar keinen Tannenbaum mehr!“
Tumultartige Zustände erhoben sich in der Weihnachtskiste. Die Wände schwankten beachtlich! Der Schneemann fiel in Ohnmacht und die roten Kugeln verloren ihren Glanz.
„Was, was heißt das für uns? Werden wir für immer hier in diesem Karton bleiben müssen?“
Der Rauschgoldengel wurde ganz blass unter seinen geröteten Wangen. Vor Schreck fing er gleich wieder an zu niesen.
„Ich weiß es ja auch noch nicht. Die Dame des Hauses hat Pappe in vielen Grüntönen und Glanzpapier gekauft, dazu noch bedruckten Fotokarton und will einen Weihnachtsbaum basteln. Schneiden, kleben. Sie findet es nicht mehr richtig, für wenige Tage einen Baum abzuholzen und nach dem Fest wegzuwerfen. Irgendwann musste es so kommen, ihr Lieben …“
„Ich kann sie ja verstehen“, meinte der Schneemann, nachdem er sich von seiner Ohnmacht erholt hatte. Nachdenklich strich er über seinen dicken Wollbauch. Resigniertes Schweigen hatte alle eingehüllt, als auf einmal ein Lichtstrahl durch die Ritzen des Kartons drang. Sie hatten sich so ereifert, dass sie die schweren Schritte überhört hatten.
„Dann wollen wir mal“, ertönte eine fröhliche Männerstimme. Der Deckel der Kiste wurde abgehoben und Männerhände tasteten suchend. „Da habe ich dich ja gefunden, du Rauschgoldengel. Betty hat gesagt, ohne meinen Engel ist es kein richtiges Weihnachten. Dann will ich gar nicht feiern!
Ach, wisst ihr was, ich nehme euch mal alle mit in die Stube. Da ist es viel gemütlicher. Die Kerzen verbreiten ein flackerndes Licht. Und meine Frau hat Vanillekipferl gebacken, die duften durch das ganze Haus. Und wenn Betty den Engel in Händen hält, strahlen ihre Augen auch wieder. Und für den liebgewonnenen Baumschmuck finden Felix und ich auch ohne Tannenbaum viele besondere Eckchen!“

von Sonja Sternitzke, Iserlohn

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