Anzeige

Neuenrade/Balve. „Lasst Vernunft walten: Ein Plädoyer für einen raschen Weiterbau und die Inbetriebnahme der Windkraftanlagen auf dem Neuenrader Kohlberg“, so heißt es im Leserbrief von Andreas Raphael, Maik Wiesegart und Markus Böhnisch aus Neuenrade, den wir hiermit veröffentlichen.

„Was verändert schon ein Leserbrief? Tagelang haben wir nachgedacht, auch über Alternativen. Doch wir sind uns einig geworden: Wir wollen die öffentliche Meinung nicht nur einer kleinen Gruppe überlassen, die die Gerichte beschäftigt und damit so tut, als repräsentiere sie eine Mehrheit.

Anzeige

In Deutschland gibt es einen Minderheitenschutz. Der gilt für Interessengruppen, Rotmilane und Schwarzstörche. Doch auch die Mehrheit darf mitentscheiden. Nach aktuellen Umfragen sind rund drei Viertel der deutschen Bevölkerung generell für Windkraftanlagen – auch wenn diese in der Nähe der Wohnbebauung stehen. Wir fühlen uns als Teil dieser “schweigenden Mehrheit”. Wir wollen den Lebensraum (bedrohter) Tiere absolut nicht kleinreden, doch es geht um Verhältnismäßigkeit. Schaut man sich bspw. die existierenden wissenschaftlichen Untersuchungen zur Problematik Rotmilan und Windkraftanlagen an, so stellt man schnell fest, dass die Reduzierung der Population seit den neunziger Jahren in großen Teilen gar nicht mit dem Ausbau der Windenergie zusammenhängt. Eine Hauptursache ist hingegen Nahrungsmangel, ausgelöst durch intensivere Landwirtschaft und die damit einhergehende Verschlechterung der Erreichbarkeit von Beute. Wenn zudem Tiere, die in weiten Teilen Europas oder sogar Asiens vorkommen, der schadstofffreien Energie den Weg versperren, dann muss man sich fragen, ob das verhältnismäßig ist. Zumal die Windenergie dazu beiträgt, ein noch viel größeres Artensterben zu verhindern. Ist es ok, dass rund 30.000 Bürgern der Zugang zu vor Ort produziertem “sauberen” Strom verwehrt werden darf, nur weil eine Population dieser Vögel in der Gegend vorkommt? Und aufgrund der Sachlage, stellt sich auch die Frage, wie sehr wurde das Vorkommen dieser Tiere schon vor dem Bau der Anlagen durch unseren Einfluss auf die Umwelt beeinflusst? Untersucht sind jedenfalls lediglich die Verluste von Greifvögeln, die offensichtlich sind: Nämlich durch Kollisionen mit den Rotorblättern der Windkraftanlagen. Die Gesamtauswirkungen unseres umweltschädlichen Handelns und der damit verbundene (wesentlich größere) Rückgang der Greifvogel-Populationen lässt sich nicht auf einzelne Felder und Verursacher herunterbrechen. Letztendlich stellt sich doch für den aufgeklärten und logisch denkenden Menschen die Frage: Warum be- und verhindern wir Technologien und Maßnahmen, die im Umkehrschluss das wesentlich größere Problem beseitigen wollen?  

Wir sind selbst gerne zu Fuß oder mit dem Rad auf dem Kohlberg unterwegs. Wir wissen, was dieser Berg für Neuenrade bedeutet. Wir wissen aber auch, was dieser Berg in den vergangenen Jahren gelitten hat. Durch intensive Bewirtschaftung, Stürme und den Borkenkäfer. Und der Kohlberg zeigt uns nicht nur diese dramatischen Auswirkungen des Klimawandels. Als Kinder und Jugendliche waren wir regelmäßig auf der Skipiste, haben dort sogar das Skifahren gelernt. Und jetzt? Freuen wir uns, wenn es ein oder zweimal pro Saison die Gelegenheit gibt. Das ist die Realität, das ist “ge- und erlebter” Klimawandel. Deshalb erscheinen uns die Windkraftwerke als kleines Übel und als wichtiger, unabdingbarer Teil eines Beitrages gegen den fortschreitenden Klimawandel.

Anzeige

Gegen die Windkraft hört man ja häufig diese Argumente: Windenergie im Offshore-Bereich (im Küstenbereich auf dem Meer) sei viel effektiver. Also lieber dort errichten als an Land. Und wir könnten mit Solarzellen auf Gebäuden die Windkraftanlagen ersetzen. Stimmt das? Das Ziel ist ja, bis 2050 Energie (nicht nur unseren Strom) zu fast 100% erneuerbar zu erzeugen. Wieviel Energie benötigen wir denn überhaupt? Der sogenannte Primärenergieverbrauch von Deutschland liegt bei etwa 13.000 PetaJoule. Damit ist der gesamte Energieverbrauch gemeint, also Strom, Heizung, Verkehr, Industrie, etc.. Da diese Zahl fast niemandem etwas sagt, haben wir dies einmal heruntergerechnet, nämlich in KWh/ Person und Tag. Jeder Mensch in Deutschland verbraucht (rein statistisch) somit jeden Tag ca. 120 kWh. Das ist ganz schön viel! Das entspricht etwa 3 Wasserkochern, die Tag und Nacht durchlaufen. Schauen wir doch jetzt einmal konkret nach Neuenrade. Mal angenommen vier Bürger teilen sich jeweils das Dach eines Hauses mit 100m² und nutzen dieses zur Energieerzeugung. Insgesamt entspricht das einer Solarfläche von etwa 20 x der Grundfläche des Waldstadions und ist damit schon ziemlich optimistisch gerechnet. Pro m² produziert so eine Anlage im besten Fall 120 kWh im Jahr. Dann kommen wir auf grob 32 kWh/Tag. Wenn sich also vier Menschen so eine eine Anlage teilen, sind das pro Person und Tag 8 kWh ( Wir benötigen jedoch 120 kWh!). Die Windenergieanlagen auf dem Kohlberg erzeugen ca. 45.000 MWh im Jahr. Verteilt man dies auf 12.000 Einwohner kann man jedem Neuenrader Pro Tag 10 kWh zuschreiben. Jetzt sind wir in Summe bei 18 kWh. Es reicht also vorne und hinten noch nicht.

Was ist denn nun mit der Offshore-Windenergie? Würde man die kompletten Küsten von Ost- und Nordsee mit einem 20 km breiten Streifen modernster Windenergieanlagen versehen, entspricht dies ungefähr 20 kW/h pro Person und Tag . In Summe sind wir dann bei 38 kWh.
Mit diesen überschlägigen Rechnungen sieht man sehr schnell, dass es noch einiger Anstrengungen und pfiffiger Ideen bedarf, um unsere Gesellschaft zukunftsfähig zu machen und das die Windenergie für eine lebenswerte Zukunft unverzichtbar ist. Am Rande bemerkt: Würde man seinen gefahrenen Kilometer mit dem privaten  PKW (Benzin) um 10.000 km pro Jahr reduzieren – z.B durch Homeoffice – würde man enorme 16 kWh/Tag einsparen.

Wir sind der Überzeugung, dass es eine Initiative der Bürger braucht, die für etwas ist – und nicht immer nur dagegen. Ja, an diesen Windrädern verdient jemand. Das ist gut so. Denn da kommen Stromerzeuger hin, die im Gegensatz zur Kohle- oder Atomkraft nicht mehr subventioniert funktionieren, sondern weil sie wettbewerbsfähig und sauber sind. Das haben weder die Kohle- noch die Atomkraft je geschafft. Jede weitere Verzögerung macht die Windräder auf dem Kohlberg weniger rentabel.

Was wir brauchen ist Vernunft und viel wichtiger noch: Schnelles Handeln. Wir sind der Meinung, dass politisches Taktieren, das Summieren von Einzel-Bedenken und – das sollte man auch einmal anbringen dürfen – die völlig desorientierten Meinungen einiger weniger populistischer Mitbürger*innen, die scheinbar sowieso gegen alles sind, einfach nur Zeit rauben und der Klimawandel bzw. die Auswirkungen dadurch noch dramatischer werden. Und wer meint, das betrifft uns doch nicht so stark, sollte sich nicht nur die Waldschäden am Kohlberg, ausgelöst durch die Trockenheit der vergangenen Jahre anschauen, sondern auch einmal mit unseren Landwirten vor Ort über deren Probleme sprechen, die auch durch Wetter und Klima verursacht sind.. Dann sollte ein jeder / eine jede verstanden haben, dass wir natürlich klare Regeln für das Errichten von Windkraftanlagen benötigen, uns aber dennoch mit dem Gedanken abfinden müssen, dass diese in einer noch größeren Anzahl benötigt werden, um auch den heute noch kleinen Mitbürger*innen ein lebenswertes Neuenrade mit einem noch existierenden Kohlberg zu hinterlassen. 

Lassen Sie uns realistisch und vernünftig sein. Wir brauchen noch viel mehr saubere Energie Und deshalb kommen wir an den Windrädern am Kohlberg einfach nicht vorbei. Und ja, es wird auf Neuenrader Stadtgebiet auch nicht dabei bleiben können. Wir alle sind nämlich energiehungrig. Unersättlich. Obwohl das Einsparen von Energie der bessere Weg… Ach, lassen wir das an dieser Stelle.“

Quellen:

Anzeige