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Balve. Der Balver Alfons Rath (Bild) ruft für unsere Leserinnen und Leser die Nachkriegszeit ab 1945 in Erinnerung. Unter dem Titel „Erlebte Geschichte aus Balve“ wirft er einen Blick in den Rückspiegel, und zwar in mehreren Folgen. Hier der erste Teil: „Ich möchte einfach mal so aufzählen, was mir aus dieser Zeit in Erinnerung geblieben ist. Wie wenig es zu essen oder überhaupt zu kaufen gab. Oder sonstige Dinge, die sich ereignet haben. Wenn es überhaupt etwas zu kaufen gab, dann nur auf Lebensmittelkarten, und diese wurden nach Beruf und Familiengröße zugeteilt.

Opa Theodor bestand auf seinen Raucherkarten, sonst war er ungenießbar. Auf den besten Flächen im Garten am Haus baute er Tabakpflanzen an, erntete im Herbst das Zeug, hing es auf den Dachboden auf Mutters Wäscheleinen zum Trocknen, um es dann auf dem Küchentisch auszubreiten, wo er es zu Tabak zerbröselte. Das Zeug stank furchtbar und schmeckte ihm auch nicht.

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Papa ist einmal nach Deilinghofen gefahren. Dort sollte man fast problemlos Brot kaufen können, größere Mengen und auch Stuten. Die ganze Familie wartete abends gemeinsam am Küchentisch auf seine erfolgreiche Heimkehr. Es hatte geklappt, es gab ein Riesenpalaver mit Freudenfest und sofortiger „Futterfete“.

Abgestürzte Flugzeuge
Mutter schwärmte immer davon „doch einmal wieder ein Stück Buttercremetorte zu essen“. Hat auch irgendwann geklappt, aber es dauerte doch noch ein paar Jahre. Sonntags musste man mit den Eltern viel spazieren gehen, und zwar in alle Richtungen. Wir hatten zu Hause mitbekommen, dass zwei Flugzeuge so in der Gegend von der Gransauer Mühle abgestürzt (abgeschossen? notgelandet?) waren. So pilgerte Papa mit uns an einem Sonntag nach Frühlinghausen auf den Hof von Schulte-Schmale. Hier lag oberhalb des Hofes auf der Weide eines der Flugzeuge, und wir konnten es uns recht nah und genau ansehen. Einzelheiten hiervon sind mir zwar noch gut in Erinnerung, aber zum Aufschreiben uninteressant.

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Elternhaus ohne Dach
Unser Haus in der Bogenstraße hatte kein Dach mehr. Ging man die angebrannte Bodentreppe rauf und kam auf den Boden, so war da nur eine große Fläche, auf der noch ein paar Sachen standen. Da der Fußboden aus Holz war, gab es auch sehr viele Brandlöcher. Papa führte über die Stellen, die man betreten durfte und dann sofort wieder nach unten.

Es wurde ein Notdach aufgebaut, irgendwie einfach und niedrig. Angebrannte Holzbalken und unter anderem geliehene Dachpfannen von Bauer Padberg wurden verarbeitet. Irgendwann später wurde das neue Dach in Angriff genommen. Die Maurerarbeiten führte die Firma Mertens (Garbeck) aus, die sogar für schlechte Reichsmark arbeitete. Sparren und Bretter konnten vom Holz aus dem eigenen Wald genommen werden. Es fehlten aber noch für die Fetten drei dicke Tannenbäume, die uns keiner verkaufen wollte, da ja das Geld nichts wert war.

Papa hat dann bei einem Balver, dessen Familie recht große Flächen im Balver Wald besaß, angefragt. Der wollte dafür unseren halben Wald eintauschen. Opa Theodor, Papa und auch Mutter waren der Meinung, dass dies noch mehr als Wucher sei, aber dieser Mann ließ nicht mit sich handeln. Papa war dann beim Förster und bei der Landsbergschen Forstverwaltung, aber ohne Erfolg. Auch Glasmachers (+ 1954) Förster gab ihm eine Absage. Ich weiß noch, dass dieses Thema immer wieder mit Opa Theodor und Mutter besprochen wurde.

Zum Schluss musste Papa wohl oder übel das Angebot annehmen. Er wollte es aber dann doch noch einmal am Sonntagmorgen nach dem Hochamt persönlich bei Glasmacher probieren. Er hat mit Glasmacher gesprochen, ihm unsere schwierige Lage erklärt, von all den Absagen aus Balve und Umgebung berichtet und auch von dem „tollen Tausch-Angebot“ gesprochen. Glasmacher hätte nur gesagt: „Ihnen muss geholfen werden. Ich gebe heute noch meinem Förster die entsprechende Anweisung. Melden Sie sich morgen bei ihm.“

Überglücklich kam er nach Hause und hat diese Begebenheit in den nächsten Jahren oft erzählt und ist dem „alten Glasmacher“ dafür immer dankbar gewesen. In dieser Zeit durfte ich auch einmal mit dem leeren Langholz-Pferdewagen nach Neuenrade fahren, was fast eine kleine Weltreise war. Hoch beladen mit Balken, Brettern und Latten traten wir die Rückfahrt an, und ich durfte oben auf dem Wagen sitzen.

Opa Ernst sollte den neuen Dachstuhl richten. Der Giebel zur Bogenstraße wurde als Fachwerk gezimmert. An der Ziegelei (Platz vor dem alten Kalkofen an der Hönnetalstraße) wurde sogar dieser Giebel probehalber zusammengebaut und wir konnten Opa Ernst dabei zusehen. So etwas habe ich später nie wieder erlebt. Auch für den Dachstuhl selber war er der richtige Fachmann, da der Dachboden nun ohne Mittelstützen einen großen freien Raum ergab. Schließlich hatte ja unser Opa Ernst mit seinen Brüdern und Vettern die große Kuppel der neuen Balver Kirche gezimmert. Fortsetzung folgt am morgigen Sonntag.

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