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Balve. Auch heute erzählt Alfons Rath von der Nachkriegszeit. Der zweite Teil ist nicht minder spannend als der erste. Hier seine Erinnerungen: „Dann gab es das nächste Problem: Neue Dachpfannen mussten her. Ich habe das noch so in Erinnerung, dass über einen amtlichen Bezugsschein in Neheim welche zu bekommen seien. Mit dem großen Hentschel-Lkw von der Gransauer Mühle sind „sie“ dahingefahren und haben auch welche bekommen, aber wohl schwer dabei getrickst oder sogar mit Schwälen und sanfter Gewalt. Und – die Dachziegel waren strahlend weiße Zementpfannen. Bald zwanzig Jahre konnte man unser Haus von den Bergen schön-schäbig leuchten sehen und Papa war der Meinung, dass wir „wenn wir mal Geld hätten, richtige Pfannen kaufen würden.“ Dabei ist es auch geblieben. Nach 50 Jahren waren die Pfannen noch bestens und inzwischen dunkel.

Bei den genannten Spaziergängen kam man auch an den Soldatengräbern vorbei, die es zum Beispiel oben am Brunnen unter den Eichen gab. Beklemmend wirkten für uns die auf den Gräber liegenden Stahlhelme der toten Soldaten. Unterhalb von Volkringhausen, auf einer Wiese, waren,  glaube ich, fünf Gräber. Nach Umbettung zuerst auf den Friedhof in Balve sind diese später neben der dritten Kapelle auf einem Soldatenfriedhof beigesetzt.

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Im Schieberg und auch im Balver Wald waren recht viele Schützengräben ausgehoben worden, die man schon von weitem erkennen konnte. Trotz Verbot sind Rudolf und ich immer wieder gern in diese Erdlöcher gesprungen und spielten Krieg. Dass unsere Eltern das nicht haben wollten, war klar. Papas Bruder war in Frankreich gefallen und Mutters Bruder in Russland vermisst. So gibt es noch heute in Papas ehemaligem Wald in der Amecke ein großes Erdloch mit vorgelagertem Aussichtsplatz, in dem sich Soldaten eingegraben hatten. Früher lag darauf noch eine dicke Eisenplatte als Abdeckung, die später eingefallen und verrostet ist. Was genau in der äußersten Ecke unter dieser Platte ist oder war, ich weiß es nicht. Da hinein zu gehen, habe ich mich nie getraut – bis heute nicht.

An der Straße nach Langenholthausen (jetzt Abfahrt Balve-Süd) und ebenso oben am „Am Schaar” (Weg nach Mellen – in Höhe der 3. Kapelle) standen schwere Panzer, auf die bei jeder Gelegenheit trotz Verbot und auch im Sonntags-Zeug geklettert wurde. Uns machte es Riesenspass darauf rumzuturnen und zu spielen. Unsere Eltern sahen das anders. Kurz nach dem Krieg kamen riesige Mengen von ärmlich aussehenden Menschen über die Hauptstraße gezogen. Sie hatten Handwagen oder Karren dabei, ihre Kleidung war armselig. Ich habe auch noch in Erinnerung, dass sie ganz traurig guckten. Uns wurde erklärt, dass seien Flüchtlingstrecks. Auch an der Haustür bei uns wurde immer wieder von den Leuten gebettelt. Mutter bot was zum Essen an, aber kein Geld.

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Mitten in der Stadt waren mehrere Bunker (Bogenstraße: jetzt noch ein Rest unterm Haus Dr. Stüeken, im Mühlenkamp zwei Stück). Für uns wieder beste Spielmöglichkeiten. Hier konnte man sich gut verstecken, denn die Zugänge waren zweimal um die Ecke mit zwei Eisentüren versehen. Da es auch Luftlöcher gab, probierten wir auch hier, Feuer zu machen, denn die Bunker konnten ja nicht brennen. Nur die Pfützen vom Regenwasser störten unser Spielvergnügen. Ein Bunker befand sich neben dem alten Küsterhaus unter der angebauten Scheune. Es gab sogar zwei Gucklöcher, die auf die Straße nach Langenholthausen ausgerichtet waren. So konnte man noch viel besser Krieg spielen und auf vorbeifahrende Autos oder Fuhrwerke zielen.

Anfang der 50er haben wir, Thomas Pröpper, Richard Falke und andere Jungs, mal versucht, in diesem Bunker alte Tannenzweige zu verbrennen. Nicht ganz einfach, denn Feuer wurde mit der Kerze aus unserem Herd in der Bogenstraße geholt und schon …qualmte es daher. Aus allen Öffnungen, Löchern, Ritzen und Fugen stieg dicker Rauch auf. Es sah äußerst gefährlich aus. Kirchenmusikdirektor Theodor Pröpper unterbrach seine musikalischen Übungen mit seiner Schwester Franziska und bölkte fürchterlich laut nach seinem Sohn THOMAAAAS, den er wohl für den Täter hielt. Inzwischen hatten wir aber schon Löschversuche gestartet, indem wir mit vollen Wassereimern und Lufteinatmen mit in den verqualmten Bunker rannten, das Wasser in die Richtung kippten, wo es auch noch glühte. Kurz drauf war es auch aus. Vater Pröpper glaubte es nicht, da es ja immer noch aus dem Bunker qualmte.

Nach dem Krieg wohnten die Eheleute Derda bei uns. Eines Tages erschien ein Mann von der Amtsverwaltung, genauer vom Wohnungsamt, und quartierte Derdas in die Winterschule um. Opa Theodor musste ebenfalls sein Balkonzimmer räumen und sollte das Kämmerchen hinter der Küche beziehen. Er hat sich geweigert, aber es hat nichts genutzt. Ich meine, dass sein Umzug mit Polizei und zwangsweise erfolgte. Oben in die freigewordenen Räume zog Familie Grenzer mit vier Kindern ein. Wir hatten uns schnell angefreundet. Da Herr Grenzer bei der Straßenverwaltung war, gab es auf einmal Möglichkeiten, an Handwerker zu kommen. Schon legten Opa Theodor und Papa mit Umbauten am Anbau los.
Eine Treppe von außen wurde angelegt, der alte Heuboden in einen großen Raum mit großem Fenster verwandelt und schon war der Anbau ein „Geschäftshaus“. Schneiderei Schmale schnippelte umgehend los mit alter Einrichtung, geliehenen Klamotten und einem Ofen von uns. Der „Laden“ ging nicht lange gut. Es folgte die Leihbücherei H. Schmale mit der TOTO-Annahme durch Karl Hoffmann. Auch das Haupthaus im Obergeschoss war teilweise Ladengeschäft geworden.

Hier wirkten inzwischen Gustav und Traudel Engel fotografisch. (Die Bilder entwickelten sie oft im Waschbecken auf unserem Flur hinter einem Vorhang, und wir Raths Kinder konnten als erste kontrollieren, was es alles so zu fotografieren gab). Bei Engels konnte man auch das Wirtschaftswunder erkennen: Angefangen wurde mit einem Fahrrad. Dann folgte ein Motorroller. Dann waren eine Putzfrau und zwei Mitarbeiter tätig. Dann kauften sie sich einen Messerschmidt-Kabinenroller (die Sensation!). Dann wurden sie schwer beklaut.

Wenig später kauften sie sich ein richtiges Auto: einen blauen Lloyd aus Blech. Dann vergrößerten sie den Laden um die Räume der Leihbücherei mit eigenem Eingang über die Außentreppe. Danach kauften sie sich einen Opel-Rekord. Die Ehe ging kaputt. Der Laden musste aufgegeben werden. Dann kam das Aus. Fortsetzung folgt Anfang Dezember.