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Balve. Alfons Rath erzählt heute noch einmal von der Nachkriegszeit in Balve: „Noch eine Zeiterscheinung: Man brauchte zum Leben Beziehungen. Raths hatten Äppel und zwar reichlich, so viele, dass sie uns Kindern schon aus den Ohren rauskamen, aber sonst keine Beziehungen. Doch, da war was: Papa über das Amtsgericht. Er konnte, als alle Leute auf dem Klo Zeitungspapier benutzten, Locus-Papier billig übers Amtsgericht bekommen. Mutter fand das grausam, bei vier hungrigen Mäulern.

Ein anderer Vorteil war, dass Papa recht früh erfuhr, dass man beim Amt Holzschuhe bekommen konnte. Er versorgte uns gern und gut, wir waren als Kinder stolz und zufrieden und klapperten laut und, wie Mutter sagte, nervenaufreibend. Ich weiß, dass ich gerne und oft mit diesen Holzschuhen in den Kindergarten gegangen bin. In dieser Zeit wurden auch zusätzliche Fußwege von Balve in Richtung Menden beziehungsweise Neuenrade entdeckt: Da keine Züge fuhren, waren die Gleisanlagen herrliche Gehwege oder Spazierstrecken.

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Im Herbst 1947 musste ich ins Krankenhaus nach Dortmund. Vorher und auch nachher bin ich mit Papa oder Mutter öfter mit dem Zug nach Dortmund gefahren und habe mir daher einiges merken können: Die Brücke in Sanssouci konnte nur im Schritt-Tempo befahren werden, da der Unterbau weggesprengt worden war. Die Ruhrbrücke vor Fröndenberg war durch die Möhnekatastrophe weggeschwemmt. Daher ging es im Schnecken-Tempo über eine provisorische Holzbrücke. Das Bahnhofsgebäude war weggeschwemmt, das Ruhrtal verwüstet. In Schwerte fuhr man am Bahn-Reparaturwerk vorbei. Hier lagen auf und neben den Schienen schwere Loks und Waggons. Diese waren wie von Geisterhand durcheinander gewirbelt und kaputt gebombt. Für mich als Junge, der doch selbstverständlich an Zügen und Eisenbahn sehr interessiert war, ein grausamer Anblick. Es war für mich schlimmer anzusehen, als die zerbombten Häuser und Ruinen.

Am Hauptbahnhof in Dortmund angekommen, bestand dieser nur aus Baracken. Zum Krankenhaus ging man zu Fuß oder fuhr mit der Straßenbahn. Hin und wieder sah man ein Auto. Diese Wagen fuhren fast nur mit „Holzkochern“. Ich kann mich noch gut an die Krüger-Passage am Westenhellweg erinnern. Sie bestand nur noch aus Schutt, und in den Himmel ragten ein paar rostige Eisenstangen. Die damalige Hauptstraße, Hansastraße, eigentlich breit und groß, bestand nur noch aus Ruinen oder dazwischen große Bombenkrater. In diesen Ruinen waren Fenster mit Pappe oder alten Decken zugehängt, Hauseingänge provisorisch zugemacht, damit hier Menschen wohnen oder besser, „hausen“ konnten. Die an sich sehr breiten Bürgersteige der Hansastraße bestanden nur noch als schmale Gehwege entlang der Fahrbahn. Die Hauptflächen waren mehr als eine Etage hoch mit Trümmerschutt bedeckt. Viele Jahre stand das Stadttheater mit kaputter Kuppel als Kriegs-Ruine zwischen den Häusern.

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Die Städtischen Krankenanstalten an der Beurhausstraße waren auch teilweise zerbombt, man war mit den Aufräumungsarbeiten beschäftigt und verschiedene Baracken dienten als Büroräume. In den Kellergängen des Krankenhauses waren für viele Jahre noch die Hinweis-Schilder für die Luftschutz-Bunker angebracht. In den Städten war die Versorgungslage noch schwieriger als bei uns. So wurden mir die paar Äpfel, die ich 1947 mit ins Krankenhaus nahm, noch von einer Krankenschwester geklaut.

Wieder zurück nach Balve. Da um Balve in den letzten Kriegstagen recht schwer gekämpft wurde, gab es viel Munition und auch größere Kampfstoffe. Lanfermanns Hermann und Willi gingen zur Borke, zündeten Handgranaten, warfen sie ins Wasser und, RUMMMS, schwammen die Forellen tot im Wasser und man brauchte nur noch „ernten“. Ich selbst war sehr viel mit meinem Lieblingsvetter Ernst im Schieberg unterwegs. So fanden wir hier am unteren Weg eines Tages eine Handgranate. Dies meldeten wir bei der Polizei. Es kam gleich der Polizist Förster, besah sich die Granate, hielt sie für nicht sofort explodierend, steckte das Ding in die mitgebrachte Aktentasche ging mit uns in Richtung Stadt und lagerte sie im Polizeibüro ein.

Später haben wir mal oben im Schieberg eine Fliegermine (oder ähnliches) gefunden und das wurde ebenfalls ordnungsgemäß bei der Amtsverwaltung gemeldet. Einige Tage später kam ein Lkw großes, gepanzertes MinenräumFahrzeug zur Schule, genau zur Pausenzeit. Natürlich waren alle Schüler schwer neugierig. Man suchte mich. Man fand mich und ich durfte einsteigen und mitfahren. Mein Gott, welch ein Gefühl und was war ich stolz, als ich die staunenden oder neugierigen Blicke der „ganzen Schule“ sah. Im Schieberg musste ich dem Minen-Räumkommando die Fundstelle zeigen, und wurde anschließend wieder zur Schule zurückgebracht.

Mir selbst hatte ich im hohen Alter von etwa sechs Jahren so 30 Stück scharfe Gewehrpatronen zugelegt, die ich in einem passenden Augenblick Lanfermanns Hermann („Sheriff“) geklaut hatte. Dieses Munitionslager wurde dann im alten, unübersichtlichen ehemaligen Pferdestall bei uns im Haus eingerichtet. Jahre später fand ich dieses herrliche Spielzeug für große Jungs wieder, habe die Patronen geknackt, die Hülsen vom Schießpulver befreit, die Zündplättchen auf dem Hauklotz mit Hammer und Nagel gezündet, die Kugeln und Hülsen verschrottet und aus dem Pulver ein kleines „Feuerwerk“ veranstaltet.

Diese Nachkriegsjahre waren natürlich nur aus heutiger Sicht herrlich unkompliziert. Die Erwachsenen mussten sich um die großen Probleme kümmern, die Halbwüchsigen machten uns viel Blödsinn vor, und wir Kleinen beobachteten viel, wurden oft weggejagt, selten für voll genommen und kriegten doch viel mit, was wir dann auf unsere Art probierten oder umsetzten“.

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