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Balve. (R.E./e.B.) Heute vor genau 75 Jahren kämpften deutsche und amerikanische Truppen im 2. Weltkrieg gegeneinander – auch in Balve. Unter anderem warfen sie Phosphorbomben ab. Davon direkt betroffen war die Familie Rath, die in der Bogenstraße beheimatet war. Der damals noch recht junge Zeitzeuge Alfons Rath schaut für unsere Redaktion in den Rückspiegel. Er betrachtet das Kriegsende vor 75 Jahren in Balve – und wie er es als Kind erlebte. Aber es geht auch darum, was sein Opa am 26. April 1945 aufgezeichnet hat. Eine spannende Geschichte, die so beginnt:

„Mein Opa Theodor Rath (*1873 †1956) hat des Ende des II. Weltkrieges in Balve wie folgt aufgeschrieben: Unsere Familie wohnte damals in der Bogenstraße (heute Nr. 3). Am 12. April 1945 kämpften deutsche und amerikanische Truppen um Balve – Artilleriebeschuss. Nach 7 Uhr abends schlugen Phosphorbomben durch unser Hausdach, sodass der Bodenraum bald in Flammen stand. Mutter Elisabeth mit den 4 Kindern (…) eilte zur Familie Josef Lohmann und sodann zum Kapellen-Bunker.

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Viele Dachpfannen zersprangen infolge Hitze. Gebälk, Dachsparren u.s.w. brannten heftig. Die Feuerwehr Balve legte einen Schlauch an den Hydranten und brachte das Feuer am Gebälk, Sparren und Dachlatten fast zum Erlöschen. Auf dem Boden löschten Alfons (*1905 †1979) und ich während der ganzen Nacht. Das Wasser wurde aus der Badewanne in Eimern zum Boden getragen.

Während der Nacht hörte man den nahen Kanonendonner und wir befürchteten neue Einschläge. Morgens um 7 Uhr hörten wir auf dem Boden den Einzug der U.S.A.-Truppen in Balve und sahen mehrere außergewöhnlich große, besetzte Panzer. Noch an weiteren 3 Tagen er- folgte wiederholt Artilleriebeschuss seitens unserer gewichenen Truppen, wodurch Hausschäden bei Cramers, H. Simon entstanden.

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Am Montag, 16. April, wurde das noch stehengebliebene Gebälk niedergelegt und mit benutzt zur Errichtung des Notdaches, ebenso wurden die gut erhaltenen Pfannen benutzt. Diese Arbeiten wurden von Zimmer- mann Ernst Schulte und Sohn Ernst – Elisabeths Vater und Bruder – ausgeführt und Alfons. Zwei Tage vor Fertigstellung des Notdaches, also am 21. April, endete das für diese Zeit selten schöne Wetter, so dass Regenwasser in Badezimmer, oberen Flur und weitere drei Zimmer eindrang und weiterer Schaden entstand.

Unsere dicke Eiche am „Darloh“ erhielt einen Treffer und wurde umgelegt und teils zersplittert. Unser Gartenzaun an der Mühle wurde von amerikanischen Kraftfahrzeugen nicht unerheblich beschädigt. Ein amerikanischer Soldat brach den Fahrradraum auf, nahm das neue gut gepflegte Fahrrad mit, welches Theodor kurz nach Kriegsausbruch kaufte, und ließ sein Fahrrad zurück. Dieses wurde kurz darauf von einem russischem Kriegsgefangenen gestohlen.

Soweit Opas Aufzeichnungen vom 26. April 1945. Sicher haben viele Menschen viel Schlimmeres erfahren und ertragen. Trotzdem will ich aufschreiben, wie wir diese Tage vom Kriegsende erlebt haben: Erinnern kann ich mich noch genau daran, dass unsere Familie und weitere Leute sich mehr oder weniger recht und schlecht in der Waschküche im Keller unseres Hauses in der Bogenstraße eingerichtet hatten. Aus meiner Sicht war das alles ein großes Durcheinander. Ich hatte eine sehr gute Übersicht, da man mich als dreieinhalbjährigen Knirps in eine alte Badewanne an der Kopfseite der Raumes einquartiert hatte.

Irgendwann hieß es: Alle raus, das Haus brennt. Als ich die Kellertreppe raufging und durch die Kellertür auf die Deele kam, konnte ich durch die riesige Luke oben auf dem Dachboden das Feuer sehen. Mutter rannte mit uns Kindern durch den Garten. Da habe ich mich noch umgesehen und erschrocken festgestellt, dass das ganze Dach lichterloh brannte und brennendes Heu und Stroh und Papa und Opa zum Löschen bleiben wollten. Mutter lief, mit Agnes auf dem Arm, Lisabeth, Rudolf und mir durch die Dunkelheit in Richtung Höfen, Mühle (heute Stadtgraben). Bei Moogs (heute Hillebrand) kam ein Unbekannter auf uns zu, nahm Mutter Agnes vom Arm und rannte weiter. Wir hinterher. Im Laufen erzählte er Mutter, dass er italienischer Soldat in der deutschen Armee sei und uns helfen wolle. Wir sollten nur schnell mitkommen, damit uns nichts passiere.

Unter der 1. Kapelle war in den Felsen ein Privatbunker von Familie Löblein, Gödde und Drilling gebaut worden. Hierhin brachte uns der Soldat und sorgte dafür, dass man uns aufnahm. Verständlicherweise nicht gern, denn der Raum war so schon gut besetzt. Als Familie Löblein sich dann noch mit feinstem Stuten versorgte, müssen unsere vier Kinderaugen-Paare immer größer geworden sein. Sooo groß, dass man nicht drum herum kam, uns auch was abzugeben. Einen Großteil der Nacht verbrachten wir drei Älteren wegen der Enge im Freien. Mutters sorgenvolle Bemerkung, sofort reinzukommen, wenn ein Flugzeug käme, machte mir nur insofern zu schaffen, dass ich nicht wusste, was das war. Und fragen, das war mir bei den vielen fremden Leuten zu dumm.

Den nächsten Tag oder die nächsten Tage haben wir, so meine ich, bei unserer Verwandtschaft Schulte (Am Schaar) verbracht. Doch dann kamen die Amerikaner und ließen das Haus sofort komplett räumen. So landeten wir eines Abends, es war schon recht spät, bei Kleins am Husenberg. Elisabeth und Maria standen im Nachthemd in ihren Kinderbettchen und guckten uns groß an.

Unser Hausdach in der Bogenstraße und Heuboden qualmten und glühten noch so lange, bis Opa und Papa alles Heu und Grummet aufs „Höfchen“ runterwarfen, dort löschten oder ausbrennen ließen. In diesen Tagen kamen wir dann auch wieder in die Bogenstraße. An das Notdach kann ich mich noch erinnern. Auch daran, dass es spät abends oder nachts auf einmal durch die Lehmdecke tropfte und mein Oberbett nass wurde. Das war aber nicht nur bei mir. Auch die anderen riefen oder heulten laut und deutlich, bis versucht wurde, irgendwie mit Lappen, Eimern oder Töpfen Abhilfe zu schaffen. In den Tagen haben unsere Eltern schon einen Streifen mitgemacht. Beim Brand war auch die Treppe zum Boden mit angeschröggelt. Noch später ist oben am Ansatz der Treppenwangen zu erkennen, dass sie den Brand überstanden hatte.

Opa Theodor hatte auch eine besondere Begebenheit überstanden: Der damaligen Küche gegenüber steht das Haus Cramer (heute: „Kaiserliches Postamt“) mit der Rückseite zu uns. Während der letzten Kriegstage gab es immer wieder Fliegeralarm. Das hieß des Nachts: Fenster verdunkeln, Licht aus und ab in den Luftschutzkeller, der bei uns im Hause in der Waschküche war. Opa war des öfteren der Meinung, dass es nicht so schlimm sein werde oder werden könne. So blieb er oben und passte auf oder hörte vielleicht die Nachrichten von „Feindsendern” am Radio.

Eines Tages, wir waren im Keller, rumste es auch und kurz darauf tauchte Opa im Keller auf, die Nase blutig. Auf dem Dach von Cramers Haus war eine Granate oder Ähnliches eingeschlagen, ein Splitter bei uns durch das Küchenfenster gefegt, hatte Opa an der Nase gestreift und dann mit voller Wucht ein ca. 2×5 cm dickes Loch in den Eichenfußboden geschlagen. Zu Mutters Bemerkung, du könntest tot sein, äußerte er sich nicht weiter. Dies sind meine frühesten Erinnerungen. Da ich nichts anderes kannte, muss diese Zeit und auch die danach ganz normal gewesen sein“, erinnerte sich Alfons Rath für unsere Zeitung.

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