Hier wohnte Friedrich Wilhelm Hesse, bevor er Balve verließ.

Balve. Kein alltäglicher Besuch im Pfarrarchiv, dazu noch völlig überraschend: Zwei kanadische Ehepaare suchten auch in Balve nach ihren Vorfahren. Wortführer Shaun Hesse hatte sich gut vorbereitet und breitete hier seinen „Hesse Family Tree“ aus.
Dieser Stammbaum, das beweist er nun den staunenden Betrachtern, enthält die Namen seiner Vorfahren in Brilon ab 1760. Erst Franz Joseph Hesse, seinen „great, great, great grandpapa“ zog es nach Balve. Dessen Sohn Friedrich Wilhelm Maria Hesse, (1860-1936) war dann sein „ur-great grandpa“. Dieser verließ Balve um die Jahrhundertwende in Richtung Kanada. Dort heiratete Sophia Elizabeth Schmidt, und Shaun Hesse heiratete die Tochter eines ihrer 15 Kinder.
Soweit kann ich mithilfe von Birgit Rieke die Erklärungen des Kanadiers und die Skizzen seines „Hesse Family Tree“ nachvollziehen. Zu ergänzen bleibt: Hesse wohnte vorher im heutigen „Haus Dr. Kirchhoff“ (Dechant-Amecke-Weg 2). Als „Patrizierhaus“ wurde es 1812 – 1819 fertiggestellt. Von 1830 bis 1900 wirkte in diesem Gebäude die Balver Amtsverwaltung – das dokumentiert an der Hausfront eine Schrifttafel.
Norbert Cordes verabschiedet sich 1910 auf der Postkutsche
Aber dann präsentiert uns Shaun gleich noch einen weiteren Ahnen seiner Familiengeschichte.
Norbert Cordes, (1866-1957) in Wocklum, war verheiratet mit Louise geb. Wrede (1876-1958). Sie wanderten 1911 nach Kanada aus. Ihr ältestes Kind Hedwig Theresa Cordes steht als „our grandmother“ im Familienstammbuch der Familie Hesse. Leider erst, nachdem unsere Besucher bereits wieder abgereist sind, fällt mir ein: Da war doch noch was…

Das Buch von Heinrich Falke.

Ja, richtig: Heinrich Falke (1905-1994) hatte darüber berichtet. Der allseits bekannte und vielseitig engagierte Balver Schuhmachermeister veröffentlichte 1984 seine Erinnerungen in einem Buch mit dem Titel: „Der Druckfehler! Als die Postkutsche ging und die Eisenbahn kam“ (S. 34f.) Sein Schwiegersohn Alois Hoffmann illustrierte den spannenden Text mit vielen Zeichnungen (S. 34 f.). Hier Auszüge zum bewegenden Abschied von Norbert Cordes aus Balve:
„(…) Wie viele Reisende hatte sie (Anmerkung, die Postkutsche) wohl in den vergangenen Jahrzehnten in die weite Welt gebracht? Auch die Balver Auswanderer, die im Jahre 1910 die Heimat verlassen hatten. Fünf Familien waren es, die ihr Glück über dem Meer in Kanada suchten. Nicht aus Abenteuerlust oder weil sie die Heimat nicht liebten, waren sie ausgewandert.
Nein, so war es nicht gewesen, alle hingen vielleicht sogar besonders an der Heimat und ihrer Vaterstadt. Aber die gute alte Zeit war noch lange nicht für jeden die gute alte Zeit, und die Leute sagten, die gute alte Zeit wäre schon viel früher gewesen. Und so hatten sie frohgemut den Entschluß zum Auswandern gefaßt, nicht für immer, sondern gehofft, in mehr oder weniger langen Jahren wohlhabend in die Heimat zurückzukehren. Und zu einem gewissen Wohlstand hatten sie es alle in der Neuen Welt gebracht.
Doch dann hatte es vierzig Jahre gedauert – zwei Kriege hatten inzwischen die Welt erschüttert -, bis der erste von ihnen wieder zu einem Besuch nach Balve kam, und die allermeisten habe die Heimat überhaupt nicht wiedergesehen. So hatte es sich gewiß niemand bei der Ausreise vorgestellt…“

Wocklumer Mühle: Vermutlich hier lebte die Familie Cordes.

Ein Jahr später verließ auch Norbert Cordes mit seiner Familie die Heimat und wanderte nach Kanada aus. Und wieder stand ganz Balve an der Straße, und Ruf und Gegenruf erschollen und gute Abschiedswünsche von beiden Seiten, als die Postkutsche in langsamem Trab die Auswanderer hinunter und aus Balve fuhr.
Der alte Norbert Cordes aber saß neben dem Postillion auf dem Kutschbock und winkte mit seinem Hut – und winkte – und winkte.
Und diese Fahrt mit der Postkutsche bis nach Menden an den Zug – zum letztenmal durchs schöne Hönnetal – war das erste und wohl das kürzeste, gewiß aber auch das schwerste Stück ihrer langen Reise in ein fernes, ungewisses Schicksal…“
Archive helfen bei der Suche nach den Ursprüngen. Einwandern bedeutet Neubeginn im Unbekannten, mit vielen Unwägbarkeiten. Wer auswandert, der verlässt die Heimat, gibt Vertrautes auf, muss sich von vielem trennen. Mögen die Ursachen oder Bedingungen auch noch so unterschiedlich gewesen sein, für Nachkommen oft Motivierung zur Suche nach ihren Wurzeln. Shaun Hesse jedenfalls ist nun um einige Informationen und Quellenhinweise reicher.
Und auch Ulrike Knips konnte ihm im Stadtarchiv mit Daten aus ihren Sammlungen weiterhelfen. Für uns war dieser Besuch nicht der erste von Nachkommen Balver Auswanderern, und er wird auch nicht der letzte sein. Mit unseren Archiven können wir dann hoffentlich immer wieder gewünschte Auskünfte geben und Informationslücken schließen.