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entnommen der gedruckten Ausgabe der Hönne-Zeitung –

Balve. Hitten Liss kennt gewiss jeder in Balve, der morgens zum Schülerzug ging.
Ich rannte so um die Jahre 74/75 morgens zum Bahnhof. Die letzten 50 Meter der Strecke geht es steil bergauf und man wird automatisch langsamer. Hitten Liss nutzte diesen Umstand, um uns Schüler anzusprechen und selbst gedruckte Zettelchen mit frommen Bibelsprüchen zu verteilen. Jahrzehnte lang machte sie das sicher schon und mit schönstem missionarischem Eifer, bevor sie mich das erste Mal ansprach.
Sie war sehr altmodisch angezogen, sommers wie winters ein weiter dunkler Mantel, der um sie herumflatterte. Bei schlechtem Wetter wartete sie unter dem Dach der Firma Thorwesten und kam herausgerannt, wenn sich Schüler näherten.
„Hier nimm dies mit“, rief sie, „Reich ihn gern weiter! Es ist das Wort Gottes!“
„Jou, alles klar“, sagte ich, nahm das Papierchen und ging weiter. Ich wusste ja schon ungefähr, was darauf stand. Hab nie erlebt, dass sich mal jemand in ein Gespräch verwickeln ließ. Die meisten ihrer Blättchen machten gewiss den Weg bis oben zum Bahnhof, wo man seine Klassenkameraden traf. „Hey, guckt mal, von Hitten Liss“, sagte man ohne jede Aufregung. „Jou, hab auch einen.“ Spätestens wenn der Zug einfuhr, gingen die meisten der Zettel den Weg alles Irdischen, fielen zu Boden in den Matsch, wurden zertrampelt, waren vergessen, bevor wir unter der Brücke zum Baumberg durch waren.
Liss hatte sie mit größter Liebe selbst geschrieben und gedruckt. Mit einer von diesen uralten Druckmaschinen mit Matrize auf DIN A4. Da standen vielleicht 10 Sprüche auf einer Seite. Liss schnitt sie in so längliche Schnitzelchen und faltete sie einmal zusammen. Wenn ich dann auf den letzten Drücker den Berg hoch hechelte, nahm ich den Spruch, so wie diese Marathonläufer im Laufen den Becher von ihren Helfern nehmen, klappte vielleicht auch noch auf und warf, im Weiterlaufen, einen Blick darauf.
Wir machten uns über sie lustig. Allein schon der Name. Welcher normale Mensch heißt schon Hitten Liss. Vielleicht ein Spitzname? Es gab einige tolle Spitznamen in Balve: Infarkts Herrmann, Kinnebacken Jupp, Lenzen Spinner, den Tausend-Marks-Offizier. Gewiss noch viele mehr.
Heut würde ich gern mal wieder solch ein Zettelchen bekommen und ich würde mich sehr darüber freuen, aber Hitten Liss steht schon lange nicht mehr dort oben. Hätte ich doch mal eines dieser Papierchen aufbewahrt, sie sind Teil der Balver Stadtgeschichte. Stephan Koch

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