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entnommen der gedruckten Ausgabe der Hönne-Zeitung –

Balve. Seit einiger Zeit veröffentlicht die HÖNNE-ZEITUNG die erlebten Geschichten von Balver Bürgern, die Alfons Rath ins Leben gerufen hat und bisher auch den größten Anteil hatte, alte Geschichten wieder bekannt zu machen. Heute wollen wir aber den Bruder, Rudolf Rath zu Wort kommen lassen.

Rudolf Rath im „normalen“ Outfit. Foto: Pater Pius Sabu

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Der Balver Rudolf Rath gehört zu den Urgesteinen der Balver Nikolausszene. Seit 100 Jahren gehört der Nikolausgang in Balve zur Balver Kultur. Politisch veranlasste Verbote und kriegsbedingte Unterbrechungen konnten den Balver Nikolausgang zwar unterbrechen, aber nicht dauerhaft verhindern. Selbst der bei Kindern so beliebte Weihnachtsmann mit seiner roten Zipfelmütze war nie ein ernsthafter Konkurrent.
Jetzt ist Schluss für Rudolf Rath. Er nutzt seinen Rücktritt vom Nikolausgeschäft für einen historischen Rückblick von „erlebten Geschichten“. Es ist eine Exkursion in die Balver Geschichte, der Geschichte des Kolpings in Balve und der Geschichte und Tradition des Balver Nikolausganges, von der Rudolf Rath hier schreibt:

Rudolf Rath als mahnender St. Nikolaus.

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Auf einen „fahrenden Zug“ sprang ich vor rund 65 Jahre auf, eine spannende Fahrt, die ich inzwischen beendet habe. Zum Abschluss wünsche ich allen derzeitigen und künftigen Verantwortlichen viel Freude und guten Erfolg auf ihrer Weiterreise.
Seit 100 Jahren erinnert der alljährliche Nikolausbesuch auch in unserer Stadt an das Leben und Wirken des Heiligen. Die „Heimwächter“ hatten 1922/1923, also kurz nach ihrer Gründung, die Idee, den jährlichen Nikolausgang (wieder?) einzuführen, waren aber mit ihren erstmaligen „Höhlenspielen“ beschäftigt. Mitglieder des Josefsvereins und in der Nachfolge junge Männer der Kolpingsfamilie sahen hier eine dankbare Aufgabe, die sie bis heute erfüllen.
Nikolaus ist nicht der Weihnachtsmann
Bischof Nikolaus von Myra galt vor rund 1700 Jahren als Retter der Notleidenden und Hilflosen. Das geschah zwar in ferner Vergangenheit. Er gilt aber auch heute noch Eltern und Kindern als Vorbild. Seine Botschaft ist zentrales ­Thema, wenn
Anfang Dezember Mitglieder der Kolpingsfamilie ehrenamtlich und würdig als Nikolaus auftreten: bischöflich gewandet, mit schlohweißer Haartracht unter der hoch aufragenden Mitra und wallendem Bart. Mit dem Bischofsstab würdig voranschreitend, eine absolute Autoritätsperson. Im Beiprogramm spielt dann sein Knecht Ruprecht eine Rolle voller Kontraste zu ihm. So sehen sie aus, und so werden sie auch alljährlich erwartet von Jung und Alt, in Familien und bei Veranstaltungen.
Auf Weihnachtsmärkten dagegen ist häufiger der rotgekleidete „Weihnachtsmann“ anzutreffen, eine Kunstfigur, die 1931 zu Werbezwecken eines Getränkes kreiert wurde, also mit dem historischen Bischof „Nikolaus“ nicht zu verwechseln ist. Seine Bedeutung als adventliche Kunstfigur und hoffentlich angemessen honorierter Umsatzförderer – lässt ihn manchmal auch etwas aufdringlich erscheinen.  
Warte nur, bis der Nikolaus kommt!
Meine persönlichen Erwartungen an den Nikolausbesuch in unserer Familie waren lange Zeit weniger von Vorfreude als vielmehr von banger Vorahnung geprägt. Zu häufig hieß es schon Wochen vorher: „Warte nur, bis der Nikolaus kommt!“ – Wenn dieser doch nur allein gekommen wäre, ohne den drohenden Knecht Ruprecht an seiner Seite! Der machte mir nämlich mehr Sorge, und ich hatte allen Anlass dazu…
Aber das entsprach nun wirklich nicht dem Auftrag und dem Selbstverständnis der Darsteller dieser Rolle: Und deshalb, so behaupteten sie, hätten Engelchen das „Sündenregister eines jeden Kindes im „Goldenen Buch“ lückenlos zusammengetragen. Dagegen gab es wirklich keinerlei Argumente. Diese Engelchen ihre Informationen von unseren Eltern. Wenn ich das gewusst hätte…, aber was hätte es geändert?
Sie als Zuträger hatten reichlich zu Protokoll gegeben: Lob und Tadel, letzteres in großzügiger Dosierung. Jedenfalls wurden diese Punkte, vom Nikolaus, unterstützt von Drohgebärden des dunkelhäutigen Begleiters, einprägsam streng abgehandelt. Dass ich dann aber am Ende, ebenso wie meine braveren Geschwister, einen Stutenkerl bekam, hat mich doch überrascht und auch getröstet.
Mag ja sein, dass ich das in meiner Erinnerung etwas übertrieben habe. Aber vielleicht trifft es doch in etwa die damalige Grundstimmung dieser Nikolausbesuche in Familien. Sie entsprach wohl früheren Auffassungen von nachdrücklicher Erziehung. Vermutlich hatte das dann auch mit dem tradierten Rollenverständnis der Laiendarsteller zu tun. Die „Lehre“ von antiautoritärer Erziehung kam erst später, aber auch sie konnte letztendlich überwunden werden.
Ich wechselte zur anderen Seite

Zum Bild: Der erste Einsatz von Rudolf Rath als Nikolaus im Jahr 1963. Knecht Ruprecht war „Kalla“ Knoop.
Foto: Gustav Engel

Meine eigene „Nikolaus-Karriere“ startete vor 65 Jahren mit einer ganz schlichten Rolle. Trotz der geschilderten „frühkindlichen“ unliebsamen Erfahrungen wollte ich bei Nikolausbesuchen auf der „richtigen Seite“ stehen, sie mal ganz anders erleben. So arbeitete ich mich als „Stutenkerlträger“ ein, diente mich allmählich hoch, um die Rolle des Knecht Ruprecht angemessen besetzen zu können. Als dieser gefürchtete, bedrohliche Begleiter des Nikolaus, ausgestattet mit einem Bündel Ruten, fühlte ich mich allerdings nicht so wirklich wohl.
Schließlich aber war ich – trotz einiger Bedenken aufgrund meiner durchwachsenen Erinnerungen – vor rund 60 Jahren am ersehnten Ziel: Ich war nun einer dieser Balver Nikoläuse!
Nikolausrolle wandelte sich
1965 waren wir noch 19 Nikolauspaare, die bis zu je 15 Familien besuchten und dabei rund 1000 Stutenkerle verteilten. Viele Jahre meiner unbefangenen, aber auch unbedarften Auftritte folgten. Nach sozialpädagogischer Ausbildung und erzieherischer Praktika setzte mehr und mehr Nachdenken über das Rollenverständnis, den Sinn und Zweck sowie die Abläufe der Nikolausbesuche ein. Zudem nahm mit Beginn der 2000-er Jahre die Anzahl der Familien, die den Besuch des Nikolaus mit Begleitung zuhause wünschten, deutlich erkennbar ab.
Ein Bericht der HÖNNE-ZEITUNG von 1953 zur Erinnerung, Nikolaus noch vor 70 Jahren:
„…zog zunächst der Heilige Mann in dreifacher Person, noch von einem Esel als Sackträger begleitet, mit Knecht Ruprecht durch die Straßen der Stadt, so ist heute kaum ein Haus im Ort, wo er nicht einzukehren braucht…“ – Wie mag es damals dann wohl noch in den Familien abgelaufen sein. Man erinnere sich an meine zuvor geschilderten Erinnerungen.
Der Sack, in dem Kinder früher gesteckt haben sollen
Mit einigen Zitaten aus meinen früheren Berichten will ich nun das veränderte Bewusstsein in der 100-jährigen Geschichte des Nikolausbesuches illustrieren:
„…Der Sack, in dem früher Kinder gesteckt haben sollen, und die Ruten, die auf der Tischkante so herrlich knallten, bleiben heute mit dem ‚Schwarzen Mann‘ mehr im Hintergrund des feierlichen Geschehens.“ (1987 Jubiläumsheft Kolpingsfamilie Balve).
„Hat die Tradition des Nikolausbesuches in Balve noch eine Zukunft oder überlassen wir dieses Feld den Weihnachtsmännern? Wir […]  wollen […] kein Sündenregister abarbeiten, sondern etwas von dem Heiligen vermitteln, dessen konkretes Handeln der Nächstenliebe in jeder Zeit aktuell ist. Dabei ist das gemeinsame Gespräch über alltägliche Fragen und Probleme zwischen Eltern und Kindern, über deren Erfahrungen in Kindergarten und Schule durchaus hilfreich…“ (2003 SV).
„Natürlich stellt sich die Frage: Hat diese Tradition des Nikolausbesuches in Balve auch heute noch einen Sinn? Sicher nicht als ‚Event‘ zur allgemeinen Belustigung. Auch nicht als eine einmalige, beeindruckende, erzieherische Maßnahme, um dauerhaft konsequentes Verhalten zu ersetzen. […] Verstärkt wird diese veränderte Auffassung durch die Versicherung des Nikolaus: „Meine Besuche sind keine erzieherische Maßnahme, […] ich bin keine Super-Nanny!“ (2013 Blickpunkt Balve).
Diese Aufstellung mag für heute reichen!
Nikolausbesuch – ein Erlebnis für die ganze Familie
Um mit dieser veränderten Sinngebung die „Nachfrage“ wieder zu beleben, wirbt bereits seit 2008 die Kolpingsfamilie frühzeitig vor dem Gedenktag, dem 6. Dezember, in den Medien darum, Familien als Gastgeber für den Nikolausbesuch zu motivieren:
„…Die Eltern treffen zuvor die Entscheidung: Wollen wir diese christliche Tradition übernehmen bzw. weiterführen? Wollen wir unseren Kindern eine solche eindrucksvolle Begegnung vermitteln? Da wird keine „erzieherische Maßnahme“ angeboten. Ein schriftliches „Sündenregister“ wäre eher hinderlich.
Angestrebt wird vom heutigen Vertreter des historischen Bischofs von Myra bei seinem Besuch vielmehr ein gemeinsames, ermunternd hilfreiches Gespräch mit den Eltern und den Kindern. Dabei vermittelt der Nikolaus etwas vom Leben und Wirken des Heiligen. Denn sein konkretes Handeln der Nächstenliebe ist beispielhaft und vorbildlich auch für die heutige Wirklichkeit. Eingebettet in eine kleine häusliche Nikolausfeier, bei der Kinder vielleicht ein Lied oder Gedicht vortragen, kann dies zu einem nachhaltigen Erlebnis für die gesamte Familie werden. Bischof Nikolaus ist immer noch oder auch wieder „in“!
Dennoch hat sich die „Nachfrage“ verändert. Seit Jahren erleben wir eine Verlagerung der Nikolausbesuche: Die Besuche in den Familien wurden weniger. Die Anzahl der Auftritte bei Nikolaus- bzw. Adventsfeiern in Kirchengemeinden, in Vereinen, Verbänden, Schulen und anderen Einrichtungen, vermehrt auch in anderen Ortsteilen unserer Stadt, nahm stetig zu. Ob sich bei Familien künftig der Wunsch nach einem „Hausbesuch“ wieder entwickeln wird? Erste Anzeichen lassen hoffen.
Wo und wie auch immer, Besuche und Begegnungen bieten die Chance, mit dem Heiligen Bischof Nikolaus auf aktuelle Notlagen und notwendiges mitmenschliches Tun aufmerksam zu machen. In dieser  Rolle darf aber auch gelobt und gelacht werden. Gute Vorbereitung und Absprache sind da hilfreicher, als im „Goldenen Buch“ vergeblich auf passende Einträge von „Engeln“ zu warten.
Jetzt ohne mich, aber es geht weiter
60 Jahre der insgesamt 100-jährigen Tradition durfte ich als Balver Nikolaus mitgestalten. Inzwischen habe ich mich selber äußerlich dieser Greisenrolle angeglichen. Das aber bedeutet: Möge der Zug, auf den ich damals aufgesprungen bin, mit Bischof Nikolaus und seinem Gefolge weiterreisen – ich steige aus!
Dabei denke ich gern, auch mit leichtem Schmunzeln, an zahlreiche originelle, auch überraschende Begegnungen. Begleitet hat mich in dieser Zeit eine große Zahl von „Nachwuchskräften“. Sie spielten als Knecht Ruprecht ihre Rolle überzeugend, in frühen Jahrzehnten mit Rute drohend und angsteinflößend, später als harmlose mahnende Begleiter.
Andere waren und sind hinter den Kulissen eifrig, in der „Maske“ und in der „Kleiderkammer“ wie auch im „Management“.
Danke an die Kolpingsfamilie Balve, die sich als Träger dieser Tradition verpflichtet fühlt, aber auch  offen ist für zeitgemäße Gestaltung! – Eine lange, erfolgreiche Geschichte, ihre Fortsetzung und Weiterführung sehe ich da gesichert.
Gerne war ich unterwegs, etwa zu Adventsfeiern und Seniorentreffen, zu Kindergruppen, bei Geschenkaktionen sowie als Gast beim Zusammensein von gesundheitlich belasteten und beeinträchtigten Menschen, in Balve und anderen Ortsteilen unserer Stadt, aber auch außerhalb. Und diese Aufzählung ist immer noch unvollständig.
So überraschte ich als der „Heilige Bischof Nikolaus“ den Synodalvorstand des Evangelischen Kirchenkreises bei seiner Tagung in Iserlohn – als „Evangelen“ in der Heiligenverehrung doch sonst wohl eher zurückhaltend. Diesen „Coup“ hatte, damals gerade neu gewählt zum Superintendent, Heinz Dieter Quadbeck, nach seinen  – offensichtlich guten –  Erfahrungen mit mir als Nikolaus bei den Adventsfeiern der evangelischen Kirchengemeinde in Balve, ausgeheckt.
Inzwischen durfte ich insgesamt 37 dieser vorweihnachtlichen Feiern, gemeinsam mit dem Männerchor 1874 Balve, mitgestalten.
Besonders gerne erinnere ich mich an die Mitwirkung als Nikolaus bei Andachten der Kolpingsfamilie in der kath. Pfarrkirche St. Blasius für Eltern und Kinder und sonstige Angehörige in den letzten drei Jahren.
Würde man mich nach besonderen Erinnerungen fragen, so hätte ich da eine ganze Menge zu erzählen. Vielleicht verwahre ich mir das aber für später auf.

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